Repräsentation

Die Arbeit an der Repräsentation
ein Versuch über Theorie, Erfahrungen und Medienkritik zu einer Paxisanwendung zu kommen
Erschienen in Olympe Heft 22/ 2006, Secondas, Sichtbar -vielfältig
(Seite 81-89)

Ich gehe in meinem Text von der Annahme aus:
a) dass Wirklichkeit nicht als solche existiert, sie wird durch einen Komplex von sprachlichen, medialen und bildlichen Diskursen produziert
b) dass diese Diskurse bestimmen, welche Rollen diejenigen in der Gesellschaft spielen, die als nicht dazugehörig definiert werden,
c) dass wer Bilder und Texte/ oder Diskurse produziert, die Definitionsmacht über „Andere“ hat und so bestimmt, welche Rollen die Dargestellten in der Gesellschaft innehaben
d) dass es unter Berücksichtigung dieser Thesen notwendig ist, eine mediale Alternative zu schaffen
e) Aber wie?
Im Folgenden werde ich auf diverse Formate der medialen Repräsentation eingehen. „Unsere Feststellung beim Betrachten der Medien ist, dass die objektive Darstellung der ganz normalen Realität von MigrantInnen in der Schweiz angesichts populistischer Klischees, Vorurteile und politischer Propaganda kaum in Erscheinung tritt. Die öffentlich wirksamen Bilder von „Ausländern“, MigrantInnen und migrantischen Communities sind meist rassistisch kontaminiert und konstruieren die Identität der „Anderen“, die „defizitär und naturbehaftet“ ist. Trotz des Wissens um kulturelle und ökonomische Globalisierung und der Komplexität unserer Gesellschaft werden mediale Bilder und Diskurse, die über Migration und MigrantInnen entstehen und die zentral für die Festschreibung ihrer Rollen in der Gesellschaft sind, nicht reflektiert, in Frage gestellt oder gar kritisiert. (1)

Berichte von Lebensgeschichten und Schicksalen, stereotype Identitätskonstruktionen ersetzen eine genaue Analyse der ökonomischen, sozialen, kulturellen Prozesse, die für die Entstehung benachteiligter Gruppen in der Gesellschaft überhaupt verantwortlich sind. Nicht die Subjekte selber schaffen Identitäten, parodieren sie oder legen sie ab, Identitäten resultieren aus gesellschaftlichen Zwangslogiken, in die wir als Individuen eingebunden sind. Mediale Bilder und Diskurse haben ihren Anteil an diesen Konstruktionen. Die Haupttendenz, die aus den Erfahrungen mit den Medien ablesbar ist, und die sich sowohl aus der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit sowie aus der Aufgabenstellung von JournalistInnen ergibt, ist die Tendenz zu unmittelbarer, möglichst spannender Berichterstattung. „Ein Medienbericht hat im Allgemeinen nicht die Aufgabe, dem gesellschaftlichen Konsens entgegen zu arbeiten, sondern ihn vielmehr – im Sinne der Einschaltquoten, der Verkaufszahlen, der Interessen der AnzeigekundInnen – auf jene „angenehme“ Art zu bekräftigen, die mit leicht verdaulicher Information verbunden ist.“ (2) Wird zum Beispiel von Todesfällen an der EU- Aussengrenze berichtet, wird stets ausgeblendet, dass in erster Linie die restriktive EU-Migrationpolitik die Verantwortung daran trägt und nicht etwa „rücksichtslose Schlepperbanden“. Beim Betrachten von Bildern oder beim Lesen von Berichterstattungen sollte man sich stets fragen, was hier im Bild oder in der Berichterstattung ausgelassen wird, und wie sich diese Auslassung auf das Verständnis von Welt und Gesellschaft auswirkt. Der Blickwinkel, von dem aus man / frau betrachtet ist entscheidend. Anhand der Beurteilung der Medienleute, was interessant für die Leser oder Zuschauer ist, kann schon viel über die herrschende öffentliche Meinung gesagt werden. Medien sind ein Spiegel der gesellschaftspolitischen Entwicklung und Diskussion einerseits, haben aber anderseits auch einen reellen Einfluss auf die öffentliche Meinung und somit auf die Konstruktion von Diskursen.  Somit werden Vorstellungen, Bilder und Identitäten in der Gesellschaft festgeschrieben.

WeltwocheWie werden Bilder interpretiert?
Ein im französisch sprechenden Raum bekannter Islamwissenschafter wird für ein Medienbild in der neu bezogenen, noch unmöblierten Wohnung inmitten von Schachteln, Koffern und Aktenkoffern inszeniert. Welche Vermutungen werden dem Betrachter des Bildes nahegelegt?

Tagi MagiWelche Ängste werden geschürt, welche Vorurteile bekräftigt und wie verändert sich die gesellschaftliche Akzeptanz von „Asylsuchenden“ wenn diese in einer Photoreportage als selbstbewusste, männliche Mannequins dargestellt werden?

Tages AnzeigerDrei Frauen, eine davon ohne, zwei mit Kopftuch, sitzen am selben Tisch: diejenige ohne Kopftuch, „aktiv, kritisch und weltoffen“, schaut skeptisch zu ihren Tischnachbarinnen, die in ihre Tätigkeiten vertieft und abgerückt wirken (die eine isst Eis, die andere schreibt ein SMS). Die bildliche Leere in der Mittelachse des Bildes akzentuiert dabei die Spaltung der verschieden gewichteten weiblichen Subjekte. Wir interpretieren: die ohne Kopftuch ist weltoffen, fortschrittlich und integriert und die mit Kopftuch sind rückschrittlich, naturbehaftet und darum nicht integrierbar. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Art und Weise der Darstellung von MigrantInnen und Migration ist nicht nur bei einem Blick auf die Medien angesagt. Oft zeigen auch Videoproduktionen- und Compilations (Zusammenschnitt verschiedener Videofilme), die für eine „antirassistischen Sensibilisierung“ konzipiert wurden, eine ähnliche Grundproblematik auf: es geht nicht hauptsächlich darum in Frage zu stellen, wie die Gesellschaft (Macht, Hierarchie, Klassen) konstruiert wird. Manche Produktionen weisen bereits Lücken auf, wenn es darum geht, die Konstruktion eines gesellschaftlichen Subjektes kritisch zu hinterfragen. “Antirassistische Videos sehen wir uns nicht an“ lautet der Titel eines Vortragstextes. (3). Darin werden sowohl Videos der Antirassismusszene wie auch Produktionen migrantischer Communities hinterfragt und kritisiert. „Nur sehr wenige der antirassistisch motivierten Filmproduktionen vermitteln interessante Ideen oder liefern Hinweise auf Handlungsoptionen. Eigentümlich abwesend sind die Präsentation oder filmische Repräsentation einer widerständischen Praxis.(…) Im Effekt produzieren die Filme damit jedoch einen bloß humanistisch motivierten Adressaten, setzen auf dessen Paternalismus. Dergestalt minimieren sich die Widersprüche migrantischer Existenzweisen sowie die Kanak- Autonomie.“ (3) Basierend auf Recherchen für die Zusammenstellung einer Videolounge im Rahmen des Projektes „Die Rundschau“ behaupte ich, dass eine kritische oder widerspenstige Auseinandersetzung mit der Repräsentation von Migration besonders in der Schweizer Kunst- und Kulturszene selten anzutreffen ist. Die Ausstellung «Migration: Baustelle Schweiz» im Toni-Areal in Zürich scheint dies zu bekräftigen. Allzu oft wird einfach das „Bild eines Bildes“, also ein Cliché reproduziert, wie es eine Bekannte bei der Besichtigung treffend formulierte.
Meine eigene Arbeit mit Repräsentationen
Als Künstlerin mit Migrationshintergrund beschäftige ich mich mit Fragen der Repräsentation. Zumal ich „praxisnah“ erlebt habe, was es bedeutet, sich im „defizitären“ Spiegel betrachtet zu sehen. Seit Mitte der 80er verfolge ich zudem in meinem „Heimatland“ (Italien) die gesellschaftliche Konstruktion des Subjektes “extra communitario/a (4). Meine Beobachtungen lassen präzise Rückschlüsse auf die Verfestigung von hierarchischen Strukturen in der Gesellschaft – in Zeiten des sozialen und ökonomischen Umbaus – zu, ebenso auf die von der Gesellschaft konstruierte Aufteilung in „Eigenes“ und „Fremdes“. Zuschreibungen, die in der Schweiz der 60er und 70er den ItalienerInnen u.a. MigrantInnen galten, werden nun von ItalienerInnen auf das Subjekt „extra communitario/a“ übertragen. In meiner Arbeit der kritischen Kunst– und Medienpraxis sind zudem Fragen nach Darstellung und Darstellungsweisen zentral. Es geht darum die Art und Weise der Darstellung zu reflektieren, problematische Formen der Repräsentation zu erkennen und alternative Darstellungen oder einfach andere Arbeitspraxen zu entwickeln, die den gesellschaftlichen Rollen -Rollenzuschreibungen entgegengesetzt werden können. „Als Spezialistin für Probleme der Wahrnehmung und Repräsentation hat die Kunst neben ihren immer wieder notwendigen Interventionen auf „realpolitischer“ Ebene ihre Kompetenzen vor allem auf „symbolischer“ Ebene, also dort, wo Vorstellungen von Identität und Differenz in Sprache und Bildern hervorgebracht oder festgeschrieben werden. (….) Der Einsatz dieser künstlerischen Kenntnisse und Kompetenzen ist daher nicht erst dort gefragt, wo Rassismen bekämpft werden sollen, sondern wo es gilt, ein Problembewusstsein über deren Grundlagen und Erscheinungsformen erst zu etablieren.“ (5) Kritische Medienpraxis wirft Fragen auf, was denn Rassismus sei und wo rassistische Zuschreibungen überhaupt stattfinden.
Rezeption, Ressourcen und Privilegien
Wie steht es aber allgemein mit Tragweite und Potential der kritischen Arbeit an der Repräsentation in Video- oder Bildproduktionen, wenn diese hauptsächlich in einem kleinen Kreis von „eingeweihten“ Kunst- und Medienschaffenden rezipiert werden? Welche Sprache sollten solche Produktionen sprechen, welche Vertriebskanäle sollten sie haben, um nicht nur einem engen Kreise der „ExpertInnen“, sondern auch einer grösseren Öffentlichkeit zugänglich zu sein? Eine weitere Frage, die sich stellt, ist die nach dem Zugang zu den Repräsentations-Ressourcen, denn Bilder und Diskurse werden so gut wie nie durch jene Subjekte geschaffen, die tatsächlich dargestellt werden. Der Ein – und Ausschluss in den westlichen Staatsgemeinschaften reguliert zugleich die Verteilung von Ressourcen. Gesellschaftliche Privilegien und Schlüsselpositionen werden wie selbstverständlich anhand von Nationalität, Hautfarbe und Geschlecht verteilt. Die Ermächtigung, das Wort zu ergreifen, an die Öffentlichkeit zu treten, im Namen anderer zu reden und für andere zu bestimmen ist Teil dieser Privilegien. Wie können sich aber Menschen aus sozialpolitischen Minderheiten als Individuen in die Öffentlichkeit einmischen, wenn die Möglichkeit des Sprechens in dieser Öffentlichkeit ungleichmässig bis gar nicht verteilt ist? Welche Formate, welche Arbeitspraxen könnten Antworten auf solch umfassende Fragen sein? Zuerst geht es um den Zugang zur Öffentlichkeit. Dabei stellt sich sogleich die Frage nach Produktion und Produktionsbedingungen. Hinzu kommt die Frage, wie eine Selbstdarstellung überhaupt auszusehen hätte, um das Format „Einzelschicksal“ oder den „Ethnisierenden Blick“ zu vermeiden. Wie bereits erwähnt, sind Produktionen von MigrantInnen nicht a priori besser. Sie reproduzieren ebenfalls oft den paternalistischen Blick der Mehrheitsgesellschaft und verfestigen somit herrschende Strukturen. Aus Überlegungen über eine praxisnahe Anwendung, wie eine alternative, mediale antirassistische Repräsentation aus der Perspektive von MigrantInnen herzustellen sei, entstand das Label <do it> productions. (6) Konzipiert wurde das Label als Selbstdarstellungsplattform für Migrantinnen, als ein Ort der Auseinandersetzung im Umgang mit Bildern und Diskursen, um mittels Videokamera eigene Darstellungen, Sichtweisen und Standpunkte für eine breite Öffentlichkeit zu formulieren. Weit davon entfernt, eine Lösung zu haben, sondern eher einen Lösungsansatz zu bieten, hat <do it> productions in verschiedenen Arbeitszusammenhängen nun die zweite Produktion abgeschlossen: mit diesem neuen Erfahrungswert kann nun Wirkungsfeld und Rezeption der bisherigen Arbeit im Rückblick erkundet werden. Selbstverständlich ist die Auseinandersetzung mit der Thematik der Repräsentation nicht unproblematisch. Mit dieser Arbeit begibt sich frau auf eine totale Gratwanderung. Vorschläge, Arbeitsansätze, thematische Vorgaben, die von Aussen in eine Gruppe getragen werden, haben oft die Wirkung eines Implantates. Die Arbeit wird nicht von jeder an der Produktion Beteiligten als „ihre eigene Sache“ wahrgenommen. Hinzu kommt der Faktor, dass einige ganz einfach aus purer Lust und Neugierde mit Video und PC arbeiten möchten. Der politische Moment, sowie die Frage nach der Öffentlichkeit ist dabei für sie zweitrangig oder gar irrelevant, haben sie es doch verständlicherweise satt, stets mit Fragen des Ein – und Ausschlusses, ihrer gesellschaftlichen Rolle und Akzeptanz, konfrontiert zu sein. Diese Produktionen werden oft als „Videos von Migrantinnen“ wahrgenommen und als solche vorgestellt. Dies ist erstmal nicht schlecht, denn damit wollen Frauen ja zu Worte kommen, sich selbst darstellen, ihre Positionen und Standpunkte vertreten. Frau hat sich zwar eine Nische erobert, befindet sich damit aber wieder in einer Kategorie, die einschränkend ist für die Sache selbst, wie auch für die Rezeption in der Öffentlichkeit. Hinzu kommt, dass frau als Künstlerin riskiert, im Off des sozialen Feldes platziert zu werden, was alles andere als förderlich ist für die Rezeption der eigenen Arbeit in der Kunst-und Kulturwelt. Wo frau sich auch hinbegibt, scheint frau auf Glatteis zu treten. Trotzdem finde ich es den Versuch wert, weiterhin solche Formate der Darstellung, Artikulation und der Zusammenarbeit zu erproben. Die Arbeit an der Repräsentation geht weiter!

Anmerkungen
(1) Dieser Text stammt auszugsweise aus unserem Projekt „die Rundschau“, Videolounge, Workshop, Filmprogramm zur Repräsentation von Migration in Medien und in der öffentlichen Meinung. „die Rundschau“, eine Zusammenarbeit von Susanna Perin, Peter Spillmann, Labor k3000, TRANSIT MIGRATION und Kunstraum Aarau
(2) Anna Kowalska in „Antirassistische Öffentlichkeiten. Feministische Perspektiven“ Vor der Information 1999/ 2000, S. 7
(3) Massimo Perinelli / Christiane Müller-Lobeck. Der Text basiert auf einem Vortrag bei der Veranstaltung „Zur Repräsentation von MigrantInnen in alternativen Videoarbeiten – ein Fernsehabend mit Kanak Attack“ in der NGBK, Berlin.
(4) die Bezeichnung für MigrantInnen, die nicht aus einem EU-Land stammen.
(5) Ch. Karavagnas, ein Text zur Initiative gettoattack
(6) Die erste Produktion fand in Z.A. mit Sadhyo Niederberger und FEMIA, statt. An der Produktion beteiligt waren: Gülizar Cestan, Pakize Keles, Delia Krieg Trujillo, Nur Kussan, Eva Urwyler. Die zweite enstand in Z. A mit Jael Bueno, Delia Krieg Trujillo und Nosotras. An der Produktion beteiligt waren :Mybera Berisha, Adriana Matos, Elia Hanke Padilla, Avji Sirmoglu, Crisbet Sommer.