Voraussetzung für die nächsten Zeilen ist mein fehlendes Interesse für künstlerisches Arbeiten, das sich auf das Referenzsystem Kunst selbst bezieht (kurz „l’art pour l’art“). Ich begreife Kunst als Teil der Kultur auch der Alltagskultur und darum eingebettet in einen gesellschaftlichen, sozialen und politischen Raum. Diese Annahme bedeutet für mich nicht, dass Kunst per se schon politisch sei, denn um politische, soziale Kritik auszuüben, braucht es den Willen, sich mit gesellschaftlichen Prozessen auseinander zu setzen.
Kritische Kunstpraxis geht meines Erachtens mit der Selbstermächtigung einher, an sozialen Prozessen mit zu reden, diese mit zu bestimmen und mit zu definieren und somit das politische Handeln nicht an Dritte zu delegieren, sondern sich an der Gestaltung des „hier und jetzt“ zu beteiligen. Da eine solche Kunstpraxis sich mit gesellschaftlichen Prozessen auseinandersetzt, ist es eigentlich widersinnig, als einzelnes Künstlersubjekt sich in einer solchen Kunstpraxis zu orten und es scheint mir naheliegend, dass eine solche Arbeitsweise in einer Kollektivität stattfinden soll. Denn Arbeiten an der Gesellschaft setzt eine Kollektivität überhaupt voraus. Aus diesen Überlegungen heraus habe ich mich in den letzten Jahren vermehrt an kollektiven Projekten beteiligt.
Diese Projekte sind oft interdisziplinär angelegt, setzen ein Netzwerk von KünstlerInnen, TheoretikerInnen, (Medien-) AktivistInnen voraus, oder beginnen mit der Netzwerkbildung.
In (und an) einem Netzwerk zu arbeiten, bedeutet in einem selbst gewählten (oft internationalen) Zusammenhang von Personen zu agieren, welche, nebst den eigenen Ideologien, auch eine ähnliche Arbeitsweise teilen. Das verbindende Moment ist nicht die Disziplin, die Sparte der man angehört, sondern die Themen, an denen man gemeinsam arbeitet. Diese gemeinsame Themen bestimmen ihrerseits die Arbeitsweise und das Produkt oder das Fehlen eines endgültigen Produktes.
Es ist nicht denkbar Kritik auszuüben an der bestehenden Ordnung der Gesellschaft, ohne gleichzeitig die eigene Rolle im eigenen Wirkungsfeld zu reflektieren. Es geht somit nicht nur um die Kritik an bestehenden gesellschaftlich – politischen Hegemonien, sondern um die Selbstpositionierung als Künstlerin im „Betriebssystem Kunst“.
Vorgegebene Werte und Hegemonien: das geniale und von allem losgelöste, einsame Künstlersubjekt, das Kunstwerk als vermarktbarer Objekt, die Macht die Kunst – und Kulturinstitutionen innehaben (eingeschrieben ist) Wissen und Qualität zu kanonisieren, sollten in der eigenen sozialkritisch – künstlerischen Arbeit mit-reflektiert werden. Denn zur Selbstermächtigung mitzubestimmen gehört auch die Definition und Prägung der eigenen Konzeption von Kunst und Kultur. Die Reflexion und Definition des eigenen Kunst- und Kulturbegriffs ist ein Prozess und kristallisiert sich im Handeln und in der Diskussion mit anderen, denn mehrere Köpfe denken besser! Das ist ein weiterer Punkt der mich in den letzten Jahren dazu geführt hat, vermehrt an kollektiven Projekten teilzunehmen.
Einer der kollateralen Folgen der kollektiven Arbeitsweise ist oft die Verwischung der Autorenschaft, oder aber das Fehlen eines „Kunstproduktes“ im traditionellen Sinne, was in eher konservativ ausgerichtete Kunstinstitutionen, welche nach wie vor die Mehrheit darstellen, für die Bewertung der eigenen Arbeit als Künstlerin hinderlich sein kann.
Soll man im Rahmen einer Institution, die EinzelkünstlerInnen fördert, nur die eigenen, „selbstproduzierten“ Videos zeigen? und diese lösgelöst vom Handlungs- und thematischen Zusammenhang in der sie entstanden sind?
Also „out of context“?
Wie geht man/frau mit der Leerstelle um? Also mit dem fehlenden Produkt „Kunst“ (im traditionellem Sinn)? Soll der Kontext der für die eigene Produktionen entscheidend war mitgeliefert werden? Das sind Fragen, die sich für eine Präsentation stellen.
Susanna Perin 2002
Erschienen als Begleittext und Broschüre zur Installation „Out of Context“ in Rahmen der Beiträge an das künstlerische Schaffen des Aargauer Kuratoriums im 2002